von P. Klasmeier
Einleitung
Die Spitze eines Thermometers hat aufgrund des Wärmeflusses entlang des Schutzrohres eine andere Temperatur als das zu vermessende Medium. Die resultierenden Messfehler hängen von der Eintauchtiefe ab. Die Mindesteintauchtiefe für exakte Messungen kann in Abhängigkeit von der Konfiguration, dem Typ des Temperaturfühlers, der Applikation und der erwünschten Genauigkeit aus dem Thermometer-Durchmesser ermittelt werden. So kann auch eine bessere Auswahl der Kalibriereinrichtung getroffen werden.
Ermittlung der notwendigen Eintauchtiefen
Die Temperatur, die ein Thermometer misst, ist stets nur dessen eigene Temperatur. Das bedeutet, dass ein Thermometer ausreichend in das Medium, dessen Temperatur es bestimmen soll, eingetaucht sein muss, damit es dessen Temperatur annehmen kann.
Ein Thermometer ist dann ausreichend eingetaucht, wenn sich durch zusätzliches Eintauchen in das konstante Temperaturvolumen keine Änderung der angezeigten Temperatur ergibt. In allen Fällen, wo man Eintauchfehler vermutet, sollte man die Eintauchtiefe um ein oder zwei Thermometer-Durchmesser verändern und beobachten, ob die Anzeige konstant bleibt. Als grobe Annäherung gilt, dass jeweils 60% des Gesamtfehlers eliminiert werden, wenn die Eintauchtiefe um einen effektiven Durchmesser erhöht wird.
Die Eintauchtiefe, die notwendig ist, um die gesamte Genauigkeit des Thermometers auszunutzen, ist abhängig von zwei Faktoren: der zu messende Temperatur und der Thermometerkonstruktion. Sie sollte radiales Eindringen thermischer Strahlung ermöglichen und Längsstrahlung verhindern. Auch die erforderliche Eintauchtiefe erhöht sich bei Temperaturen oberhalb der Raumtemperatur bis zu einem Maximum, das bei etwa 400 bis 500°C erreicht ist.
Tritt Wärmefluss entlang des Thermometer-Schutzrohrs zwischen dem Medium und der Umgebung auf, so zeigt dies, dass eine Temperaturdifferenz zwischen der Spitze des Thermometers und dem zu messenden Medium vorhanden ist
Das Thermometer zeigt dann eine Temperatur an, die etwas geringer als die des Mediums ist. Ein einfaches Modell dieses Effektes zeigt den Fehler der Temperaturanzeige in Abhängigkeit von der Eintauchtiefe:
Dabei sind Tsys die System- und Tamb die Umgebungstemperatur, L die Eintauchtiefe, Deff der effektive Thermometer-Durchmesser und K ist eine Konstante. Mit dieser Gleichung, die in Abbildung 1 für K = 1 dargestellt ist, kann die Mindesteintauchtiefe ermittelt werden, die sicherstellt, dass der Fehler durch Wärmeableitung vernachlässigbar ist.
Aus Abbildung 2 lassen sich folgende Regeln ableiten:
- Für „industrielle“ Thermometer reicht eine Eintauchtiefe von 5 Durchmessern für eine Genauigkeit von 1% aus,
- Für gute Laborthermometer ist für eine Genauigkeit von 0,01% eine Eintauchtiefe von 10 Durchmessern empfehlenswert.
- Für beste Laborpraxis sollte das Thermometer für eine Genauigkeit von 0,0001% in eine Tiefe von 15 Durchmessern eintauchen.
Die angegebenen Eintauchtiefen sind ausreichend für eine Thermoelement-Verbindung oder dünne Thermistoren. Für einen Fühler, der einen Pt100-Messwiderstand beinhaltet, muss die Länge des benutzten Messwiderstandes zur Eintauchtiefe hinzugerechnet werden, denn kein Anteil des Messwiderstandes sollte im Bereich des Wärmeleitungsgradienten liegen.
Industrielle Thermometrie
Mit den so ermittelten Eintauchtiefen sind die meisten Anwendungen bis zu einer Temperatur von 500°C abgedeckt. Ein typisches Beispiel einer industriellen Anwendung ist der Einsatz eines Thermoelements in einem Schutzrohr. Ein Schutzrohr wird entweder verwendet, um das Thermometer vor dem Prozessmedium zu schützen oder um das Medium abzudichten. Das Schutzrohr kann in den Prozessaufbau eingeschraubt oder –geschweißt sein. Üblicherweise beträgt das Verhältnis von Durchmesser zu Länge 1:5 oder mehr. Bei der Ermittlung der Eintauchtiefe ist es notwendig, den Außendurchmesser der Installation heranzuziehen, also den Schutzrohrdurchmesser, und nicht den Durchmesser des Fühlers im Schutzrohr.
Ein anderes Beispiel sind Metallblockkalibratoren, die üblicherweise einen Metalleinsatz mit verschiedenen Bohrungen haben, um die zu kalibrierenden Thermometer aufzunehmen. Wieder ist der Durchmesser des Einsatzes maßgeblich, nicht der des Thermometers. Solche Einsätze besitzen üblicherweise einen Durchmesser von 50mm und sind im günstigsten Fall 250mm lang, da dies dem obengenannten Verhältnis von 1:5 entspricht. Normalerweise wird die Temperatur am Boden des Einsatzes mit etwa 1% Genauigkeit geregelt. Während allerdings die radiale Verteilung der Temperatur ausreichend gleichmäßig ist, wird der axiale Gradient häufig zu wenig kontrolliert. Unabhängig vom Durchmesser des Temperaturfühlers werden hier fehlerhafte Eintauchtiefen dadurch verursacht, dass der Einsatz nicht genügend tief eintaucht. Diese Fehler können größtenteils vernachlässigt werden, wenn
- neben dem Regelthermometer ein unabhängiges Referenzthermometer exakt dort in den Einsatz gegeben wird, wo sich in gleicher Eintauchtiefe auch das zu kalibrierende Thermometer befindet, und wenn
- das Referenzthermometer dem zu kalibrierenden Thermometer in Konstruktion und thermodynamischem Verhalten soweit wie möglich gleicht.
Diese Anordnung von Referenzthermometer und zu kalibrierendem Thermometer ist auch (implizite) Anforderung der DIN EN ISO 9000ff. Hier wird die Rückführung der Prüftechnik durch Kalibrierung mit einem höherstehenden Normal verlangt. Dies ist nur in einem thermischen Gleichgewicht möglich.
Ermittlung der richtigen Eintauchtiefe
Fühler in Schutzrohren oder Metallkalibratoren arbeiten nicht in der gleichen Weise wie Fühler in umgewälzten Kalibrierbädern. Der Grund ist, dass in umgewälzten Bädern Deff/Dactual = 1 ist. In Situationen, wo es wie in Schutzrohren oder Metallblöcken einen Luftspalt gibt, ist Deff/Dactual>1.
Beispielsweise soll ein Thermoelement mit einem Durchmesser von 6mm in einem Metallblockkalibrator bei einer Temperatur, die 500°C über der Umgebungstemperatur liegt, kalibriert werden. Die gewünschte Genauigkeit sei 0,1% bezogen auf die Kalibriertemperatur 0,5°C.
Daraus ergibt sich für Deff = 1 eine Mindesteintauchtiefe des 7-fachen Durchmesser (42mm). Für Deff = 2D, das sich aus eigenen Messungen als richtigeres Verhältnis ergeben hat, erhöht sich diese auf 84mm (Abb. 3). Für industrielle Platin- Widerstandsthermometer müssen rund 40mm für das Messelement hinzugerechnet werden, was 120mm ergibt. Da die Messunsicherheit bei Platin-Widerstandsthermometern manchmal noch geringer als bei Thermopaaren sein soll (z.B. 0,05°C), sollten nochmals 25mm addiert werden. Das ergibt eine Gesamteintauchtiefe von 145mm.
Untersuchungen von Metallblockkalibratoren der Klasmeier Kalibrier- und Messtechnik GmbH, Fulda, bei verschiedenen Temperaturen (250, 450 und 650°C) habe ergeben, dass bei einer Genauigkeit von 0,5°C unabhängig von der Temperatur für ein 6mm-TypN-Thermompaar mit einer Bohrung von 6,5mm Durchmesser eine Eintauchtiefe von 80mm notwendig ist, um den Quotienten aus Wärmeableitung und vertikalem Temperaturprofil des Metalleinsatzes kleiner als 0,5°C werden zu lassen. Das bestätigt die Annahme von Deff/D= 2. Bild 2 soll für umgewälzte Kalibrierbädern, (Abb. 3) für Metallblockbäder mit kleinen Luftspalten angewandt werden.
Gute Laborpraxis
Für Laborthermometer ist eine größere Messgenauigkeit erforderlich. Als Beispiel dient die Ermittlung der Mindesteintauchtiefe für ein Thermometer mit einem Schutzrohr von 4mm Durchmesser, wobei das Messelement in den letzten 40mm des Schutzrohres untergebracht ist. Die Messung sollte einen Eintauchfehler von weniger als 0,01°C bei Temperaturen bis zu 100°C haben. Zuerst ermittelt man die relative Unsicherheit der Messung als:
Die Mindesteintauchtiefe beträgt etwas mehr als das 9-fache des Durchmessers. Um sicherzugehen, taucht man das Thermometer in die Tiefe des 10-fachen Durchmessers oberhalb des Messelements ein, im Beispiel also 80mm. Damit lässt sich eine Genauigkeit von ungefähr 0,01% erreichen. Mit dem 5-fachen Durchmesser erzielt man eine Genauigkeit von etwa 1%, was für die industrielle Thermometrie ausreichend ist.
Beste Laborpraxis
Genaueste Labormessungen werden z.B. mit Normal-Platin-Widerstandsthermometern (NPWTH) in Fixpunktzellen durchgeführt. Dabei ist das Thermometer in das Metall der Fixpunktzelle nur 160mm bis 200mm eingetaucht, obwohl eigentlich eine Eintauchtiefe von etwa 300mm erforderlich ist. Der Grund dafür ist, dass der Temperaturgradient oberhalb und innerhalb von 200mm Zellenlänge typischerweise 0,5°C der Zellentemperatur beträgt (Abb. 5). Außerdem ist der Bereich darüber gegen Wärmeleitung und Wärmestrahlung mit Strahlungsschildern isoliert. Das reduziert den Temperaturgradienten und damit die erforderliche Eintauchtiefe.
In (Abb.2) ermitteln wir für Deff = 1 eine Mindest-Eintauchtiefe von 7 x Durchmesser oder 42mm. Jedoch, wenn Deff = 2D ist, würde diese auf 84mm erhöht werden.
Als Rechenbeispiel hierfür dient eine Zinkzelle, die das Eintauchen von 200mm unterhalb der Oberfläche des reinen Zinkmaterials erlaubt. Die Fest-Flüssig-Gleichgewichtstemperatur, bei der die Messungen gemacht werden, sei 419°C. Da das Thermometer einen Luftspalt hat, wird zur Ermittlung der korrekten Eintauchtiefe Bild 3 herangezogen: Wenn der Fehler in der Temperaturanzeige Tm = 0,0001°C sein soll, ergibt sich zuzüglich eine Eintauchtiefe des 32-fachen Durchmessers.
Für eine Länge von 200mm beträgt der Temperaturgradient längs des Thermometers nur 0,5°C. Für die Messungen genügt dann gemäß 0,0001°C/0,5°C = 0,0002% bzw. der 15-fache Durchmesser zuzüglich der Länge des Messwiderstands. Für ein NPWTH mit einem Durchmesser von 8mm bedeutet das eine Eintauchtiefe von 120mm zuzüglich 50mm Messwiderstandslänge. Das heißt, dass in der Zelle nur 170mm, also eine um 130mm verminderte Eintauchtiefe notwendig ist.
Wirkungsweise von Komponenten
Metalleinsätze, Wärme-Isolierstücke oder Lufträume oberhalb des Einsatzes in Metallblockkalibratoren könne die erforderliche Eintauchtiefe verändern. Wenn sich der Einsatz unter der Oberkante der Heizwicklung des Metallblockkalibrators befindet, zeigt ein darin befindliches Thermometer nicht die gleichen Wärmeableitungseffekte wie ein Thermometer, das direkt den Übergang zur Umgebungstemperatur hat. Temperaturfühler in solchen Metalleinsätzen haben Wärmeableitungsprobleme nur in dem Bereich, wo sie das Kalibriersystem verlassen.
Der Standard-Eintauchtest, bei dem man den Fühler um ein oder zwei Durchmesser herauszieht und eine etwaige Veränderung der Temperatur überprüft, bestätigt die Richtigkeit der mit der beschriebenen Methode gewählten Eintauchtiefe.
Literatur
- Bureau International des Poids et Mesures, Supplementary Information for the International Temperature Scale of 1990. Pavillon de Breteuil 1990, Kapitel 3.2.4
- Nicholas, J.V., White, D.R.: Traceable Temperatures. Wiley & Sons, Chichester – New York
Der Autor dieses Beitrages
Peter Klasmeier, geb. 1950, studierte Maschinenbau an der Fachhochschule Darmstadt. Danach war er Konstrukteur und später Produktbereichsleiter bei Jumo in Fulda. Heute ist er Geschäftsführer der Klasmeier Kalibrier- und Messtechnik GmbH, Fulda.