Komplett automatisierte Fixpunkte der ITS-90 für die Industrie

Komplett automatisierte Fixpunkte der ITS-90 für die Industrie

von P. Klasmeier

Einleitung

Der perfekteste Weg, Temperaturaufnehmer zu kalibrieren, ist der, sie in einer Reihe von sehr reinen Stoffen wie Wasser oder Zink einzutauchen, wenn diese erstarren oder schmelzen. Die Erstarrungs- (oder Schmelz-) Temperaturen solcher reinen Substanzen sind fest und absolut und bekamen einen gesetzmäßigen Status in der Form der Internationalen Temperaturskala von 1990 (ITS-90).

Wenn Sie Fühler kalibrieren, in dem sie diese direkt in die verschiedenen Punkte der Temperaturskala (POTTS) eintauchen, dann gibt es keine Notwendigkeit, diese Fühlerkalibrierung noch einmal mit anderen Fühlern zu vergleichen. Ebenso ist diese Kalibrierung näher an der ITS-90 Skala und hat daher mehr Gewicht und kleinere Messunsicherheiten. Dem entgegen sind die Kosten dieser sog. Fixpunktzellen und deren Kalibratoren, verbunden mit der Schwierigkeit der Benutzung. Aus diesen Gründen haben bislang nur wenige Laboratorien die Entscheidung getroffen, unter Verwendung von Fixpunktzellen und deren Kalibratoren direkt nach der ITS-90 Skala zu kalibrieren. Aus den genannten Gründen war es also notwendig, Wege zu suchen, um eine größere Anzahl von Labors in die Lage zu versetzen, diese elegante und direkte Kalibrierung an den Fixpunkten durchzuführen, in dem man die Benutzung der Fixpunkte einfacher und preiswerter gestaltet. Dieser Artikel beschreibt die Lösung, und wie die Punkte auf der Temperaturskala (POTTS) arbeiten.

Beschreibung

Die am meisten genutzten Punkte der Temperaturskala sind:

  • Der Quecksilber-Tripelpunkt (-38,8344°C)
  • Der Wasser-Tripelpunkt (0,01°C)
  • Der Gallium-Schmelzpunkt (29,7646°C)
  • Der Indium-Erstarrungspunkt (156,5985°C)
  • Der Zinn-Erstarrungspunkt (231,928°C)
  • Der Zink-Erstarrungspunkt (419,527°C)
    und der Aluminium-Erstarrungspunkt (660,323°C)

Zwei weitere Punkte werden gerne angewendet, sie sind aber nur Sekundärpunkte der Internationalen Temperaturskala. Diese sind: der Eispunkt (0°C) und der Blei-Erstarrungspunkt (327,462°C)
Abhängig von dem Gebrauchsbereich der Thermometer, brauchen diese nicht in allen, sondern können in einer Reihe von Fixpunkten kalibriert werden. Die Fixpunkte, zugeordnet zum Temperaturbereich, sind spezifiziert in der ITS-90. Der Dreh- oder Angelpunkt all dieser Thermometerkalibrierungen ist der Wasser-Tripelpunkt. Leider muss diese Zelle aus Glas gefertigt werden und ist dementsprechend zerbrechlich. Weiterhin muss der Anwender Verfahren beherrschen, den Tripelpunkt in Betrieb zu nehmen, und er braucht einen Kalibrator um den Punkt aufrechtzuhalten. Manche Anwender bevorzugen daher den Eispunkt als eine Alternative.

Schon 1966 wurde eine Konstruktion patentiert und seit dieser Zeit erfolgreich angewendet zur automatischen Darstellung von 0°C (Bild 1, Schnitt durch eine Vergleichskammer). Kernstück der Konstruktion ist eine Zelle, welche aus ausgesuchten, passivierten Metallteilen hergestellt wird und im Inneren reines Wasser aufnehmen kann. Die Zelle, incl. eines Balgens an der Unterseite der Zelle, wird unter Vakuum verschlossen. In die Zelle hinein ragt ein 8mm Messkanal zur Aufnahme der Temperaturfühler zur Kalibrierung. Die Zelle wird automatisch über eine Reihe von thermoelektrischen Kühlern gekühlt, bis das Wasser Eiskristalle zu formen beginnt. Eis ist 8% weniger dicht als Wasser und aus diesem Grunde expandiert das Volumen dieses Eis/Wassergemisches, je mehr Eis sich bildet. Dieser Vorgang setzt sich fort bis der Balgen durch die Ausdehnung einen Mikroschalter betätigt und damit die Kühlung beendet. Das Eis formt sich zurück zu Wasser und der Balgen-Mikroschalter startet infolgedessen wieder den Kühlprozess.

Auf diese Art wird unter der einfachen aber eleganten Anwendung der Verhältnisse von Wasser und Eis ein Eis/Wassergemisch erzeugt und auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten. Die Zelle braucht ca. 3 – 4 Stunden, um sich selbst in Betrieb zu nehmen, und danach zeigt ein Signallicht an, wenn sie zum Gebrauch fertig ist. Eingeschaltet, wird dieses Eis/Wassergemisch bei 0°C sich selbst kontrollieren und für Jahre verfügbar sein, ohne dass irgend eine Beachtung oder Wartung notwendig ist.

Der nächste Punkt, den es zu betrachten gilt, ist der Schmelzpunkt von Gallium. Dieser Punkt ist der angenehmste in der Internationalen Temperaturskala. Um ein langes Schmelzplateau zu erreichen, benötigt man nur eine präzise Temperatur, um die bei Raumtemperatur erstarrte Zelle zu schmelzen. Nach einer kompletten Schmelze muss die Zelle wieder erstarrt werden, und der Vorgang kann von vorne beginnen.

Es sind präzise Kalibratoren bekannt, die den Schmelz und Erstarrungsvorgang der Galliumzelle durchführen. Durch den Einbau einer Zeitschaltuhr in diese bekannten Kalibratoren kann der Schmelzprozess der Galliumzelle durch Selbsteinschalten initiiert werden bevor der Arbeitstag begonnen hat. Wenn dann das Kalibrierlabor seine Arbeit aufnimmt, hat der Kalibrator die Zelle auf die Schmelztemperatur gebracht und stellt das Zellplateau zwischen 14 und 16 Stunden zur Verfügung. Der Anwender hat dann eine Temperatur von 29,7646°C als Fixtemperatur jeden Tag zur Verfügung. Nach 20 Stunden Betriebsdauer schaltet die Zeitschaltuhr um und beginnt die Zelle zu kühlen, so dass nach insgesamt 24 Stunden ein neuer Zyklus beginnen kann. Das ermöglicht dem Anwender, den Galliumpunkt jeden Tag zur Verfügung zu haben, ohne Wartung oder sonstiger Maßnahmen, um die Fixpunkttemperatur aufrechtzuhalten. Eine Lampe zeigt an wenn die Zelle ihre Schmelztemperatur erreicht hat (Bild 2, der perfekte Galliumpunkt).

Nun gilt es eine Zellenfamilie zu betrachten, der Indium, der Zinn, der Blei, der Zink und Aluminiumerstarrungspunkt. Diese Zellen sehen alle gleich aus, beinhalten einen Barren sehr reines Metall in einem Graphittiegel. Im Schmutz, Feuchtigkeit und Luft außen vor zu halten, sind diese Zellen verschlossen, üblicherweise in Quarzglas.

Der Anwender schätzt den Gebrauch von Quarzglas nicht sonderlich, da es zerbrechlich ist und die Zellen immer per Kurier transportiert werden müssen. Das Risiko und die damit verbundenen Kosten schrecken viele potentielle Anwender ab. Glücklicherweise findet sich in der Literatur, beispielsweise in der Metrologia 1996 (2) und in Volume 6 of Temperature its Measurement and Control in Science and Industry Beweise, dass Graphittiegel in Metallgehäusen eingeschlossen werden können, ohne dass das Reinstmetall im Tiegel kontaminiert wird.

Das Geheimnis liegt darin, zuerst das richtige Metall auszusuchen und dann dieses Metall vorsichtig vorzubereiten, bevor das Graphit mit dem Reinstmetall eingebracht wird. In einem anerkannten und akkreditierten Primär-Kalibrierlabor sind solche Fixpunktzellen mit Metallmantel über eine Zeitdauer von 18 Monaten täglich benutzt worden, ohne messbare Hinweise auf eine Kontaminierung des Reinstmetalls.

Nun war es Aufgabe, eine Reihe von Kalibratoren zu bauen, um diese Zellen zu betreiben. Die Geräte haben einen Regler, dessen Sollwert 1°C über der Fixpunkt-Schmelztemperatur gewählt wird. Es hat ebenfalls eine Anzeige, die über ein Thermometer den Zustand der Fixpunktzelle (Bild 3) anzeigt. Die Geräte haben ebenfalls eine Zeitschaltuhr zur automatischen An- und Ausschaltung. Dies funktioniert folgendermaßen:

Das Gerät schaltet sich selbst ca. 2 bis 3 Stunden, bevor der normale Arbeitstag startet, an und bringt die Zelle auf das Schmelzplateau. Das Anzeigegerät informiert den Anwender bei seiner Ankunft morgens im Labor, dass die Schmelze begonnen hat. Werden Zellen nicht benutzt, so dauert die Schmelze ca. 6 bis 12 Stunden und während der nächsten Nacht wird das Gerät über die Zeitschaltuhr ausgeschaltet, um die Zelle erstarren zu lassen. Dieser Zyklus wird jeden Tag wiederholt und ermöglicht damit dem Anwender einen täglichen Fixpunkt, jeden Tag, ohne zusätzlichen Aufwand. Wird die Zelle zum Kalibrieren benutzt, so verlängert sich die Schmelzdauer, da jeder eingetauchte Fühler das geschmolzene Metall abkühlt und damit wieder ein Stückchen erstarrt.

Zum Schluss muss der Quecksilbertripelpunkt betrachtet werden. Dieser Punkt stellt ein Problem dar, denn mit –38,8344°C befindet er sich zwischen 60 und 65°C unter Umgebungstemperatur, und dies ist eine unangenehme Temperatur für Thermoelektrische Geräte. Trotzdem gibt es heute, nach einer Reihe von Entwicklungsjahren, Geräte, die diesen Anforderungen genügen und Quecksilber über eine Zeit von 6 bis 8 Stunden erstarren lassen und es über Nacht wieder schmelzen. Die Temperatur der Zelle wird angezeigt, so dass der Anwender weiß, wann die Zelle auf dem Plateau ist. Auf diese Weise ist auch der Quecksilberpunkt nun täglich verfügbar, jeden Tag ohne Wartung und weiteren Aufwand.

Damit existiert eine Reihe von Fixpunkten mit Kalibratoren, die robust und automatisch die ITS-90 Fixpunkte in Betrieb nehmen und aufrecht halten, täglich, jeden Tag. Mit diesen Geräten braucht der Anwender keine besondere Kenntnis über Verfahren zur Handhabung von Schmelz- oder Erstarrungspunkte, und er hat präzise und bekannte Temperaturen zur Verfügung, in welchen die unterschiedlichsten Arten von Thermometern wie Platinwiderstandsthermometer, Flüssigkeitsthermometer Thermistoren und Thermoelemente im Alltag kalibriert werden können.

Die Messunsicherheiten die mit diesen Zellen verbunden sind, variieren von wenigen 100µK am Quecksilber- und Galliumpunkt bis zu 5mK am Aluminiumschmelzpunkt. Nur zusätzliche Wärmeableitungsfehler, abhängig von der Konstruktion des zu kalibrierenden Fühlers, könnten diese Messunsicherheiten noch erhöhen.

Eine Grenze ist diesem Programm gesetzt, mit dem max. Innendurchmesser des Messkanales in der Zelle. Er beträgt typischerweise 8,5 bis 10mm. Diese Begrenzung hat auch seine positiven Seiten, denn größere Thermometer haben eine größere Wärmeableitung und würden dadurch noch größere Fehler verursachen.

Die Kosten für solch ein Labor, das mit den automatischen Fixpunkten arbeitet, betragen ungefähr 1/3 bis 1/4 eines voll eingerichteten ITS-90 Primärlabors. Das oben beschriebene System hat allerdings auch einen Schwachpunkt. Es ist das Nichtbenutzen des Wasser-Tripelpunktes, der wichtigste ITS-90 Punkt. Es ist also notwendig, auch eine alternative Strategie für diese Labors zu erarbeiten, die den Wasser-Tripelpunkt als Ersatz für den Eispunkt haben möchten. Sie müssen allerdings etwas weniger als die komplette Automatisation akzeptieren und auch etwas weniger bei der kompletten Robustheit.

Für den Wasser-Tripelpunkt wird ein Kalibrator benutzt, in welchem eine Wasser-Tripelpunktzelle mittlerer Größe eingesetzt werden kann. Der Kalibrator kühlt die Aufnahme der Tripelpunktzelle auf –7°C. Ein Referenzthermometer, eingebracht in den Messkanal der Zelle, zeigt an, wenn die Zelle auf –6°C durchgekühlt ist. An diesem Punkt wird die Zelle aus dem Kalibrator genommen und geschüttelt.

Dieses verursacht die Kristallisation des hochreinen Wassers in der Zelle. Die Zelle wird dann zurück in den Kalibrator gegeben, dessen Temperatur leicht unter 0°C gewählt wird. Der Wasser-Tripelpunkt ist nun für den Rest des Tages verfügbar. Bevor der Arbeitstag zu Ende ist, wird die Temperatur des Kalibrators etwas über 0°C gewählt, um langsam das Eis in der Zelle zu schmelzen, damit der Prozess am nächsten Tag wiederholt werden kann.

Unterschiedliche ITS-90 Bereiche

Die ITS-90 beschreibt eine Reihe von Temperaturbereichen, in welchen Thermometer kalibriert werden können. Nachfolgend eine Auflistung der am meisten benutzten:

1 Quecksilber, Wasser, Gallium -40 bis +30°C
2 Wasser, Gallium 0 bis +30°C
3 Wasser, Indium 0 bis 157°C
4 Wasser, Indium, Zinn 0 bis 232°C
5 Wasser, Zinn, Zink 0 bis 420°C
6 Wasser, Zinn, Zink, Aluminium 0 bis 661°C

Der Quecksilberpunkt kann zu jedem der oben beschriebenen Bereiche hinzugefügt werden, um den Bereich bis auf –40°C auszudehnen.

Um zwischen den Fixpunkten zu interpolieren, existieren Polinome in welchen die entsprechenden Widerstandswerte die an den Fixpunkten ermittelt wurden eingegeben werden können. Des weiteren gibt es Softwareprogramme um dann die individuelle Charakteristik des kalibrierten Fühlers auszurechnen.

Messunsicherheiten K = 1

Die Fixpunktzellen werden aus dem Material hergestellt, das mit der größten Reinheit verfügbar ist. Bei Metallen bedeutet das beispielsweise eine Reinheit von 99,9999%. Damit erreicht man Messunsicherheiten für die Zellen wie nachfolgend dargestellt:

Quecksilber ±0.2mk (T.P.)+
Wasser-Tripelpunkt ±0.2mk (T.P.)+
Gallium ±0.2mk (Schmelzkurve)
Indium ±1mk (Schmelzkurve)+
Zinn ±1mk (Schmelzkurve)+
Zink ±1mk (Schmelzkurve)+
Aluminium ±2mk (Schmelzkurve)+

+Hängt ab von der Konstruktion des zu kalibrierenden Thermometers. Möglicherweise muss man eine größere Eintauchtiefe akzeptieren. Hinweise für die Ermittlung von Eintauchtiefen findet man in einem Aufsatz unter Punkt 3.

Rückführbarkeit

In der Zeitschrift Metrologia 1996 (2) ist ein Papier veröffentlicht worden, welches den Zweck einer Internationalen Temperaturskala beschreibt. Es sagt: “Der Zweck einer Internationalen Temperaturskala ist es, international anerkannte Verfahren und praktische Thermometer zu beschreiben, die Laboratorien die unabhängige Realisierung der Skala ermöglichen und/oder die unabhängige Bestimmung hoch reproduzierbarer Temperaturwerte durch starke Annäherung an die thermodynamische Temperatur zu ermitteln. Aber einfach und präzise messbar, so dass die Unterschiede unter gemessenen Temperaturwerten ermittelt durch unabhängige Realisierung oder Bestimmung klein ist, wenn man sie vergleicht mit den Messunsicherheiten der thermodynamischen Werte.“

Daraus folgt, dass der Gebrauch von Fixpunktsystemen als „Die selbständige Realisierung der Skala“ betrachtet werden und damit keine weitere Rückführung notwendig ist. Wie auch immer, in manchen Akkreditierungsverfahren mag eine „Kalibrierung“ jeder Zelle gefordert sein. Wenn es notwendig ist, können diese Zellen mit einem entsprechenden Zertifikat einer akkreditierten Stelle rückführbar auf nationale und internationale Normale ausgestattet werden.

Literaturangaben:

  1. Eine neue Temperaturskala
    Die Internationale Temperaturskala von 1990 (ITS-90)
    Walter Blanke PTB- Mitteilungen 99 6/89
  2. Metrologia 1996 Springer Verlag Volume 6
  3. Ermittlung von Eintauchtiefen Werksschrift der Klasmeier Kalibrier- und Messtechnik GmbH Fulda